Als die Deutschland-exklusiven Game Boy Color Spiele blühten

Zunächst war es nur ein zartes Pflänzchen. Doch schnell bildeten sich Ableger und am Ende stand ein kleiner Wald. Gegen Ende der 90er breitete sich ein für eine Nintendo-Konsole völlig neues Phänomen aus. Erstmals kamen speziell nur für den deutschen/deutschsprachigen Markt entwickelte Game-Boy-(Color)-Spiele in die Läden. Warum das so war und welche Vertreter es gibt, darauf werfen wir in diesem Artikel einen Blick.

Inhaltsverzeichnis

Wann kommt es zu Länder-exklusiven Spielen?

Zwei Kriterien lassen sich festlegen, wann und wie es überhaupt zu länder-exklusiven-Spielveröffentlichungen kommt.

  1. Eine populäre Konsole: Wenn sich Publisher für den Release auf ein Land begrenzt entscheidet, dann muss es eine in absoluten Zahlen solide Anwenderbasis geben. Daher sind Deutschland-exklusive Spiele auch weitaus wahrscheinlicher als etwa Veröffentlichungen nur in kleineren Ländern wie Belgien oder Norwegen. Des Weiteren ergibt sich aus diesem Punkt, dass Länder-exklusive Titel fast nie in der Frühphase einer Konsole auftreten und sondern erst, wenn der Erfolg sicher ist.
  2. Geringe Kosten in Entwicklung, Produktion und Marketing: Länder-exklusive Titel sind wegen der geringeren Aussichten auf Einnahmen nie AAA-Spiele. Die Entwicklunskosten sind relativ gering. Dazu sind es fast immer Lizenzspiele, die auf populären Figuren beruhen. Aus diesem Grund lassen sich Kosten für das Marketing einsparen, da das Videospiel von der Bekanntheit der Figur profitiert.

Wenden wir das einmal auf den GameBoy an. Mitte bis Ende der 90er hatte sich Nintendos Handheld bereits millionenfach in Deutschland verkauft. Sein Nachfolger mit Farbdisplay ging ebenso gut weg. Nicht zuletzt ab Oktober 1999, als Pokémon die Hardware-Verkäufe beflügelte.

Technisch war der Game Boy bereits bei Release keine Offenbarung und der Konkurrenz hinterher. Ergo war die Technik Ende der 90er wohlbekannt und konnte von kleinen Teams günstig programmiert werden. Darüber hinaus waren die Speichermodule recht klein und so recht günstig für Entwickler und Publisher.

Beide Voraussetzungen passen also.

Die Maus als Mutter aller Deutschland-exklusiven GameBoy-Spiele

Das – meiner Informationen nach – erste GB-Spiel, das ausschließlich im deutschsprachigen Raum erschien, ist Die Maus (1997) auf dem Classic. Zwar ist die Serie auch in andere Länder exportiert worden und es befindet sich ein Sprachauswahlmenü im Spiel (Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch). Ich habe jedoch keinerlei Hinweis gefunden, dass das Spiel in irgendeinem nicht-deutschsprachigen Land veröffentlicht wurde. Möglicherweise gab es zu dieser Zeit eine Richtlinie, Spiele mit Text in die größeren Sprachen zu übersetzen.

Maus und Elefant in Aktion.

Wie kam es dazu, dass Maus und Elefant das grünlich schimmerne Licht der Welt erblickten? Zum einen gab es in Deutschland bereits Millionen Besitzer des grauen Klotzes und somit potenzielle Käufer. Zum anderen ist Die Sendung mit der Maus hierzulande eine ungeheuer bekannte Marke.

Noch dazu verleiht die WDR-Figur dem Spiel ein solches Grundvertrauen, dass sogar Großeltern guten Gewissens zum Kauf eines Videospiels für den Enkel gegriffen haben dürften. Die Maus ist schließlich etwas vernüftiges und erfüllt einen Bildungsauftrag, daran besteht kein Zweifel. Vertrieben wurde das Spiel übrigens “im Auftrag des WDR” (Total 11/1997) von Infogrames.

Das Cover von Lucky Luke ziert das Infogrames-Logo.

Infogrames? Das französische Unternehmen zeichnete sich bereits verantwortlich für die Veröffentlichung Europa-exklusiver Lizenzspiele wie Asterix (1993) und Lucky Luke (1996). In Übersee wären diese Spiele ohne echte Chance gewesen. Dennoch waren die Comic-Helden in den europäischen Zielländern hinreichend bekannt, der Markt ausreichend groß und die Konsole verbreitet genug. Dadurch rentierte sich die auf Europa beschränkte Veröffentlichung.

Genaue Verkaufszahlen sind mir leider nicht bekannt. Bei den immer weiter erscheinenden Lizenzspielen ist aber davon auszugehen, dass sie sich für Infogrames rentiert haben. Nun konnte der Hersteller die Zielgruppe auf ein einziges ausreichend großes Land zuschneiden: Deutschland. Beim Westdeutschen Rundfunk wurde der französische Hersteller dann in Form des bekannten Nagetiers fündig.

Damit erschien es zu Zeit, als der Game Boy eigentlich kurz vor der Rente stand. Eigentlich. Wenige Wochen später, zum Jahreswechsel 1997/98, berichteten deutsche Spielemagazine erstmals über ein neuartiges GameBoy-Phänomen in Japan: Pokémon.

Jedenfalls war auch die Maus als Lizenzspiel auf dem Game Boy Classic von Erfolg gekrönt. Die fünfte Ausgabe des Jahres 1998 sah in den Verkaufscharts zu Nintendos Handheld den Infogrames-Titel auf der Spitzenposition. Wenig später kam noch eine farbige Version der Maus für den GBC in den Handel.

verkaufscharts game boy spiele 1998 die maus auf platz 1 vor wario land 2 super mario land und tetris
Sogar vor Altmeister Mario und dem neuen Wario: Die Maus zeigte sich in Deutschland ungemein erfolgreich.

Never change a running system. Wir begeben uns ein Jahr weiter und befinden uns im März 1999. Ein Spiel an der Schwelle von Classic zum neuen Game Boy Color. Einem schwarzen Modul, das mit beiden Handheld-Varianten kompatibel ist.

Vom WDR zum ZDF: Tabaluga auf dem GBC

Mitunter ist es erstaunlich, wie eine Erfolgsformel immer wieder zu funktionieren scheint. Um auf den Helden des nächsten Spiels zu kommen, riss sich Infogrames kein Bein aus. Man schaltete nur einen Kanal weiter. Nach der Maus wendete sich Infogrames dem in Diensten des ZDF stehenden Tabaluga zu.

Diesmal sicherte sich Infogrames die populäre “Tabaluga”-Lizenz. Mit dem grünen Kerlchen hat man zwar kein traditionelles Comic-Konterfei in petto, doch stieg der Bekanntheitsgrad des musikalischen Drachens in den letzten Jahren enorm an. In seinem ersten Videospiel muss sich der Maffay-Spross als ebenso tapferer wie vielseitiger Held beweisen: Der bösartige Schneemann Arktos hat eine Kältemaschine gebaut – und will nun Tabalugas Heimat einfrieren.

Fun Generation (06/1999)

Der grüne Drache, der u.a. von Peter Maffay erfunden wurde, trat bereits in den 80ern das erste Mal in Erscheinung. Warum aus Tabaluga ein Videospielheld wurde, liegt aber an der 1997 angelaufenen Sendung “Tabaluga tivi”, die im ZDF und auf KiKa lief. Zudem erhielten zwei Hörspiele mit Tabaluga 1999 Gold-Status. Zum Zeitpunkt des Release war der Charakter bei Kindern wohlbekannt und die Popularität der Figur konnte genutzt werden, eine Videospielumsetzung zu wagen.

Lizenzspiele stehen im Ruf, mit einem bekannten Namen schnelles Geld auf Kosten der Qualität zu verdienen. Wie schon bei der Maus, kann davon bei Tabaluga keine Rede sein. Im Gegenteil: Das Spiel fuhr reihenweise gute Wertungen ein.

  • Video Games (08/1999): Spielspaß 5/5
  • Fun Generation (06/1999): Wertung: 6/10
  • Total! (04/1999): Note 2 – Wer sich von den lustigen Gefährten des kleinen grünen Drachen angesprochen fühlt, kann beherzt zugreifen. Entwickler Neon bietet eine grafisch saubere und stimmungsvolle Umsetzung der Märchenwelt des niedlichen Medienstars mit mehr als 20 ausgearbeiteten Charakteren.

…und weiter zum Privatfernsehen: Jay, K-RTL und THQ.

Wo Erfolg ist, da gibt es Nachahmer. Acclaim stand bereits 1999 parat, um Pumuckl zu versoftwaren. Janosch aus dem Jahr 2000 hingegen war so gesehen wieder Chefsache und ging über Infogrames. Dass es so viele Lizenzspiele mit aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk bekannten Figuren gab, lässt darauf schließen, wie erfolgreich sie waren. Doch diese Lizenzen sind endlich. THQ griff auf das Privatfernsehen zurück.

Während Pumuckl und Co. noch heute bekannt sind, hilft es, bei Jay und die Spielzeugdiebe (2000) etwas zu kontextualisieren.

Zur Promotion seines Kinderprogramms K-RTL schickt RTL [….] den Löwen Jay ins Rennen. Die von der RTL-Art-Direction […] entwickelte Figur soll dann in kurzen Spots und Werbeunterbrechern für Sympathien bei den vier- bis 14-jährigen Zuschauern sorgen. Nach der Einführung soll Jay auch in das Merchandising-Programm von RTL übernommen werden.

Horizont, 11.03.1999

Bei dem Löwen Jay handelt es sich um ein von RTL selbst geschaffenes Maskottchen, das dem hauseigenen Kinderprogramm K-RTL ein Gesicht geben sollte. Ein Jahr nach Jays Einführung landete Jay dann auf Nintendos Handhelden. Was es nicht alles gibt.

Nahezu ohne Zweifel dürfte die Entscheidung, ein solches Spiel zu veröffentlichen, auf den Erfolg der bereits genannten Deutschland-exklusiven GBC-Titel zurückzuführen sein.

Jay der Löwe in einem Kurzclip im RTL-Kinderprogramm am Samstagmorgen.

Bei Jay und die Spielzeugdiebe handelt es sich um ein klassisches 2D-Jump’n’Run. Sogar so klassisch, dass sich die Hintergrundgeschichte um etwas gestohlenes dreht: Den lieben Kindern haben Aliens sämtliche Spielzeuge entwendet. Jay soll sie zurückholen.

Der fauchende Spargeltarzan kämpft sich durch die Level.

So bieder es sich alles anhört, Jay bietet immerhin durchschnittliche Platformer-Kost. Die zeitgenössische Kritik der Video Games (09/2000) gibt bei Spielspaß eine 4/5 und kritisiert den für die Zielgruppe zu happigen Schwierigkeitsgrad. Heute ist das Modul von Jay und die Spielzeugdiebe für 1 bis 2 Euro auf eBay zu bekommen.

Für RTL hatte das GBC-Spiel nicht nur durch die Einnahmen aus den erzielten Verkäufen Vorteile. Noch dazu bauten die jungen Spieler eine engere Bindung zu dem Maskottchen und damit dem Programm von RTL auf. Hinzu kommt also ein Werbeeffekt durch die Software.

Um Werbung geht es auch bei dem folgenden und letzten in diesem Artikel behandelten Spiel.

Ein Game Boy Color-Spiel als Marketing-Instrument: Das Geheimnis der Hippo-Insel

In der Vorweihnachtszeit 2000 erschien in Übersee ein GBC-Spiel mit unwahrscheinlichen Helden: M&M’s Mini Madness. Zwar gab es bereits etwa von McDonald’s schon ein Spiel für den Sega Genesis. Doch aufgrund der zeitlichen Nähe ist davon auszugehen, dass die M&M’s Inspiration für Ferreros Happy Hippos waren, die 2001 auf dem Game Boy Color debütierten. Wer hatte bei diesem Lizenzspiel wieder seine Finger im Spiel? Natürlich Infogrames.

Bildquelle: Stefans Sammler Team

Im Sommer 2001 bettete Ferrero die Veröffentlichung von Das Geheimnis der Hippo-Insel in eine breitere Werbekampagne ein. Passend dazu organisierte der Riegel-Hersteller ein Gewinnspiel. Im Zuge dessen verloste Ferrero nicht nur 111 Exemplare des Spiels. Es gab sogar die gleiche Anzahl an GBC-Hardware zu gewinnen, die mit einem eigenen Happy-Hippo-Design aufwartete. Bei einer Stückzahl von nur 111 kann man davon ausgehen, dass es sich weltweit um eine der seltensten Variationen des GameBoy-Designs handelt.

An Pokémon, das acht der neun Spitzenplätze einnahm, war kein Vorbeikommen. Immerhin langte es für die Hippos noch zu Platz 10 der Verkaufscharts.

Für Ferrero boten sich demnach eine ganze Reihe von Vorteilen, dem Hippo Max Mutig dem Geheimnis der Insel auf den Grund gehen zu lassen:

  • Direkt durch Einnahmen aus Spielverkäufen
  • Gesteigerter Absatz an Happy-Hippo-Riegeln, denn in jeder Packung befand sich ein Cheat zum Freischalten von einem der fünf Minispiele
  • Erhöhte Identifikation und Bekanntheit der Marke in der relevanten Zielgruppe
Das Geheimnis der Happy Hippo Insel Game Boy Color Bewertung
Das Jump’n’Run heimste gute Bewertungen ein.

Was von den Happy Hippos auf dem Game Boy Color in Erinnerung bleibt, ist die vorzügliche Grafik des Spiels. Wackelnde Öhrchen des Protagonisten Max Mutig, die abwechslungsreichen und vielseitigen Hintergründe sind durch die Reihe weg weit über durchschnittlich. Chapeau!

Anders als bei den anderen drei Spielen, die meist nur für ein bis zwei Euro in Auktionen weggehen, muss man heute beim Kauf der Hippos mit etwa fünf Euro für das Modul kalkulieren.

Das Unkraut unter den Blüten der Deutschland-exklusiven GBC-Spiele

Die hier kurz skizzierten GBC-Spiele boten folglich eine gute Qualität. Insbesondere bei Lizenzspielen ist das nicht selbstverständlich. Aber bei den in dieser Phase aufblühenden Deutschland-exklusiven Titeln gab es neben den Blüten auch Unkraut.

Um die Jahrtausendwende war Deutschland besessen von einer bis dato nahezu unbekannten Vogelart: Dem Moorhuhn. Von der zunächst kostenlosen PC-Version erfolgte wegen der hohen Popularität der Port auf den erfolgreichen Game Boy Color – zum Vollpreis von 70 DM versteht sich. Ganze drei Teile des an sich eintönigen Spielprinzips spendierte man dem Jagdspiel. Dem ersten Teil war nicht einmal eine Batterie zum Speichern des High-Scores gegönnt. Was 1989 bei Tetris aus technischen Gründen noch nachvollziehbar war, war 2000 beim Moorhuhn nur darauf zurückzuführen, die Produktionskosten zu minimieren.

Bei der Kritik eher verhalten aufgenommen, schaffte es die Moorhuhnjagd bei den Lesern der Big N 2001 auf Platz 20 der besten GB-Spiele. Würde heute wahrscheinlich anders aussehen.

Heute nur noch begrenzte Anziehungskraft dürfte Gute Zeiten, schlechte Zeiten besitzen. Software2000, Ende der 80er und 90er noch bekannt für innovative Games wie den Bundesliga Manager, brachte das Auftragsprojekt 2000 auf den Markt.

Game Boy und PlayStation statt N64

Eingangs sind die zwei Merkmale aufgeführt, wann Länder-exklusive Titel erscheinen.

  1. Populäre Konsole
  2. Niedrige Kosten

Vornehmlich aus dem zweiten Punkt ergibt sich, warum zwar Deutschland-exklusive Titel auf Nintendos Handheld, nicht aber seiner Heimkonsole erschien. Nintendos Entscheidung, beim N64 auf kostspielige Module zuu setzen, verhinderte dies durch die hohen Produktionskosten. Stattdessen brachten Entwickler Spiele wie das Moorhuhn oder RTL Skispringen 2002 lieber auf die günstigen CD-ROMs der PlayStation.

Das Fazit

Aus Infogrames europäischen Lizenzspielen wie Asterix und Lucky Luke ging 1997 Die Maus hervor – das erste Deutschland-exklusive GameBoy-Spiel. Der Erfolg schwappte auf den Color, der ebenso erfolgreich und die Spiele genauso günstig zu entwickeln und herzustellen waren. So entstanden eine Reihe Spiele exklusiv für den deutschen Markt.

Auf diese Spiele zurückzublicken, lohnt sich mitunter. Nicht nur, weil sie ein Spiegel dessen sind, was in Deutschland um die Jahrtausendwende populär war. Auch weil sich der ein oder andere Titel durchaus sehen lassen kann.

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